Gemeinsam verantwortlich

Ein Gespräch mit Christian Som vom WWF Schweiz über Nachhaltigkeit im Detailhandel, ambitionierte Partnerschaften – und die Macht der Konsumentinnen und Konsumenten.

Publiziert am 4. Juni 2025

Grazia Grassi und Christian Som sitzen am Tisch und unterhalten sich.

WWF und Lidl

Seit 2017 arbeitet Lidl Schweiz mit dem WWF zusammen – inzwischen ist daraus eine internationale Partnerschaft geworden: Seit 2024 engagieren sich Lidl und der WWF global in 31 Ländern für mehr Nachhaltigkeit. Auch in der Schweiz wird die Zusammenarbeit laufend vertieft. Christian Som (Senior Manager Sustainable Markets) vom WWF Schweiz spricht mit Grazia Grassi, Head of Corporate Affairs bei Lidl Schweiz, über zentrale Schwerpunkte – und darüber, was echte Game Changer im Klimaschutz sein könnten.

Christian, du arbeitest seit über zehn Jahren beim WWF Schweiz im Bereich Retail. Was hat sich seit dem Start der Partnerschaft mit Lidl Schweiz verändert?

Als wir 2016 mit Lidl Schweiz in Gespräche traten, war Lidl Schweiz ein relativ neuer Marktteilnehmer, dem man kritisch gegenüberstand. Heute ist Lidl Schweiz fest etabliert – und setzt auch im Bereich Nachhaltigkeit klare Akzente. 


Welche Rolle spielt Lidl Schweiz in der Strategie des WWF Schweiz für nachhaltigen Konsum?

Der Detailhandel hat einen riesigen Hebel: Er entscheidet mit, welche Produkte in welchen Qualitäten ins Regal kommen – und damit auch, was konsumiert wird. Gerade weil Ernährung für rund ein Drittel der globalen Emissionen verantwortlich ist, arbeiten wir mit Unternehmen zusammen, die bereit sind, ihre Lieferketten und Sortimente nachhaltig umzugestalten.


Gab es Situationen, in denen ihr Lidl Schweiz zu mutigeren Entscheidungen drängen musstet? 

Ja. Zu Beginn unserer Zusammenarbeit haben wir im Bereich Fische und Meeresfrüchte unterschiedliche Ziele für das Festlistungssortiment und für das Aktionssortiment definiert, weil das schnell wechselnde Aktionssortiment in Bezug auf die Herkunftsnachweise besonders herausfordernd und aufwendig ist. Aus Umweltsicht ist es aber natürlich irrelevant, über welches
Sortiment Fische und Meeresfrüchte verkauft werden. Auch aus Kundensicht ist es nicht nachvollziehbar, warum unterschiedliche Massstäbe gelten sollten. Hier musste der WWF Schweiz insistieren, dass überall die gleich ambitionierten Richtlinien gelten. Lidl Schweiz hat die Herausforderung angenommen und schon im ersten Jahr der Umsetzung gute Resultate erzielt. 


Wie geht ihr mit Zielkonflikten zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltambitionen um?

Die gibt es. Wichtig ist: Nachhaltigkeit muss mittel- bis langfristig wirtschaftlich sein, sonst ist sie nicht tragfähig. Leider wird oft zu kurzfristig gerechnet. Wer heute an Nachhaltigkeit spart, gefährdet morgen die Stabilität der Lieferkette.


Was hat dich in der Partnerschaft mit Lidl Schweiz besonders stolz gemacht?

Dass wir zeigen konnten: Auch ein Discounter kann mit einer NGO eine glaubwürdige, wirksame Partnerschaft eingehen. Daraus ist eine der grössten internationalen WWF-Handelspartnerschaften entstanden.

«Mit dem WWF Schweiz gestalten wir konkrete Lösungen – für mehr Nachhaltigkeit im Sortiment und echte Wirkung im Alltag.»

– Grazia Grassi, Lidl Schweiz

Fokus: Ernährung & Klimaschutz

Wie können Unternehmen wie Lidl Schweiz zur Bewältigung der Klimakrise beitragen?

Vor allem über die Produktauswahl. Je geringer die Umweltbelastung der Produkte, desto kleiner ihr ökologischer Fussabdruck. Aber Unternehmen können noch mehr tun – etwa in die Wiederherstellung von Biodiversität oder in Energieeffizienz investieren.


Wie misst der WWF Schweiz die Fortschritte?

Wir veröffentlichen gemeinsam mit Lidl Schweiz einen jährlichen Partnerschaftsbericht. Dort
legen wir offen, wo die Ziele erreicht wurden – und wo nicht. Verbesserungsbedarf sehen wir zum Beispiel bei der Rückverfolgbarkeit von Futtermitteln für Fleisch- und Fischprodukte.


Braucht es stärkere Regulierung – oder reichen Selbstverpflichtungen aus?

Beides. Selbstverpflichtungen zeigen, was heute schon möglich ist – aber damit nicht einzelne Akteure vom Fortschritt profitieren und andere untätig bleiben, braucht es auch verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen.


Welche Umwelttrends beschäftigen euch aktuell besonders?

Ernteausfälle und Preisschwankungen bei Rohstoffen nehmen zu. Die Landwirtschaft muss sich an neue Klimarealitäten anpassen – auch in der Schweiz. Wir müssen langfristig überlegen, was wir wo anbauen.

«Lidl Schweiz zeigt, wie der Handel dazu beitragen kann, einen bewussteren Konsum zu fördern.»

– Christian Som, WWF Schweiz

Konsum im Wandel

Ein grosses Thema ist Future Foods – wie kann der Wandel zu nachhaltigeren Ernährungsweisen gelingen?

Der übermässige Konsum tierischer Produkte ist eine der grössten Umweltbelastungen. Wir brauchen mehr pflanzliche Eiweissquellen – idealerweise aus vielfältigem, regionalem Anbau. Dafür braucht es aber auch den Handel, der diese Produkte zugänglich und attraktiv macht.


Wie bewertest du Lidls Rolle bei der Förderung solcher Innovationen?

Ich sehe ein grosses Engagement. Das Angebot an veganen Produkten ist breit und gut erkennbar. Als Konsument finde ich bei Lidl Schweiz immer wieder neue pflanzliche Alternativen, die alltagstauglich sind.


Ein konkretes Projekt?

Mit der gemeinsamen Future-Foods-Kampagne haben wir eine Plattform geschaffen, um neue, nachhaltige Ernährungsweisen sichtbar und schmackhaft zu machen. Darauf bauen wir auf.


Kundschaft unterstützen

Essen ist ein hoch emotionales Thema. Wie kann man Konsumentinnen und Konsumenten dabei unterstützen, nachhaltige Muster zu verändern?

Es braucht Zeit, Inspiration und Anreize auf mehreren Ebenen. Retailer wie Lidl Schweiz können mit gut kuratierten Sortimenten, einfachen Rezeptideen oder Aktionen dazu beitragen, den Wandel genussvoll zu gestalten. Wichtig ist: Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit muss alltagstauglich und positiv besetzt sein.


Welche Verantwortung trägt der Handel in der Lenkung des Konsumverhaltens?

Konsumentinnen und Konsumenten haben nicht immer das Wissen, um ökologische Entscheidungen zu treffen. Wenn der Handel nachhaltig produziert, transparent kommuniziert und bei der Entscheidung hilft – etwa durch Labels oder Produktlinien –, kann er viel bewirken.


Wie könnte man den Fussabdruck von Einkäufen sichtbarer machen?

Digitale Tools könnten helfen: etwa eine Bewertung des Einkaufs in der Lidl Plus App mit Bonusrabatten bei besonders nachhaltigem Verhalten. Auch Informationskampagnen, wie wir sie Anfang 2024 gemeinsam gemacht haben, schaffen Bewusstsein.


Partnerschaft mit Wirkung

Was wünschst du dir für die nächsten Jahre der Zusammenarbeit mit Lidl Schweiz?

Dass wir gemeinsam weiter mutig bleiben, neue Themen aufgreifen, Kundinnen und Kunden inspirieren – und die Dynamik erhalten, die uns bisher getragen hat. 


Wie hat sich Lidl Schweiz in den letzten Jahren entwickelt?

Besonders bei zertifizierten Rohstoffen und beim Fischsortiment wurden grosse Fortschritte erzielt. Das ist messbar und öffentlich dokumentiert.


Was wäre ein echter Game Changer?

Wenn sich ein Grossteil der Bevölkerung nach den Prinzipien der Planetary Health Diet ernähren würde – das würde unseren ökologischen Fussabdruck drastisch senken.


Wie schafft man es, Nachhaltigkeit nicht zu einem zusätzlichen Verkaufsargument zu machen, sondern zu einem integralen
Bestandteil des Geschäftsmodells? 

Wenn Erfolg auf allen Ebenen nicht nur in Umsatz- und Gewinnzahlen gemessen wird, sondern auch in der Erreichung transparenter Umweltziele – dann ist Nachhaltigkeit wirklich im Geschäftsmodell verankert.


Warum sind Partnerschaften wie jene
zwischen WWF und Lidl wichtig?

Weil wir alle auf eine stabile Nahrungsmittel­versorgung angewiesen sind. Das geht nur mit einer intakten Natur. Darum tragen wir auch eine gemeinsame Verantwortung. Nehmen wir sie wahr!


Zum Schluss: Wo können wir im Alltag selbst ansetzen?

Weniger fliegen, mehr öffentlicher Verkehr, fossilfreies Heizen, weniger Fleisch und Milchprodukte – das sind die grössten Hebel. Und: Man muss nicht perfekt sein, um die Umwelt zu schützen.